Mischa führt im Kollektiv eine Fahrradwerkstatt

Seit einigen Wochen betreibt Mischa gemeinsam mit zwei Freundinnen eine Fahrradwerkstatt am Alsergrund. Was am Radfahren befriedigend ist, wie die Bike-Polo-Community organisiert ist und warum es eine Werkstatt braucht, in der ausschließlich FLINTA*-Personen arbeiten, erzählt Mischa im Interview.

Fährst du privat auch mit dem Fahrrad? Und radelst du das ganze Jahr über? 

Ja, ich fahre das ganze Jahr Rad. Es ist echt selten, dass ich die U-Bahn verwende. Und auch größere Transporte versuche ich mit dem Lastenrad zu machen. Also die ganzen Wege in der Stadt mache ich eigentlich mit dem Fahrrad.

Was magst du am Radfahren?

Der Wind, der mir durch die Haare weht im Sommer. Die Freiheit. Die Bewegung an sich. Also ich merke, dass es mir gut tut, Rad zu fahren. Aufhören nachzudenken und einfach – auch sehr schnell teilweise – durch den Verkehr zu fahren. Ich kann aufsteigen, ich kann hinfahren, wo ich will und ich kann dort wieder absteigen – ohne mich an Fahrpläne halten zu müssen. In der Stadt ist es ein richtiges Freiheitsgefühl. Während andere in ihren Autos sitzen und im Stau stehen, kann ich an denen vorbeiflitzen. Also, das ist etwas sehr Befriedigendes und das macht mir sehr viel Spaß.

Portrait von Mischa

© Bianca Kämpf

Wenn du privat das ganze Jahr über radelst, gibt es für dich vermutlich keine Fahrradsaison. Aber merkst du beruflich so etwas wie eine Fahrradsaison? 

Für mich ist das ganze Jahr Fahrradsaison, aber natürlich merkt man, dass viele Leute Schönwetterfahrer:innen sind. Ich glaube, dass sich das durch Corona auch verändert hat. Also man merkt schon, dass es mehr Ganzjahresradler:innen gibt. Und ich hoffe, dass das irgendwann bald alle machen. Man braucht eigentlich nicht viel, außer ein paar Handschuhe und eine Haube.

„Wir wollen damit Fahrrad fahren zugänglicher machen“

Du hast vor kurzem mit zwei Freundinnen gemeinsam die Fahrradwerkstatt Velo Peaches aufgemacht. Wie seid ihr auf die Idee gekommen?

Im Prinzip schrauben wir alle schon länger am Fahrrad herum und haben in unterschiedlichen Fahrradwerkstätten gearbeitet. Dann haben wir uns irgendwann gedacht, wir könnten das doch einfach gemeinsam machen. Denn wir fanden und finden es wichtig, dass es eine Fahrradwerkstatt gibt, die rein von FLINTA*-Personen geführt wird bzw. wo nur FLINTA*-Personen arbeiten, weil das ein sehr männlich dominierter Bereich ist und wir das selber auch gespürt haben.

Wenn man in eine Radwerkstatt kommt und sich vielleicht nicht so gut auskennt und dann erklärt einem der Fahrradmechaniker, was man nicht alles brauchen kann und was nicht alles kaputt ist. Es gibt diese Hierarchie, die wir ein bisschen abbauen wollen. Natürlich ist immer noch eine Wissens-Hierarchie da, die sich dadurch ergibt, dass eine Person reinkommt, die sich nicht auskennt, und wir uns auskennen. Aber zumindest ist es bei uns sehr viel angenehmer. Das ist zumindest das Feedback, das wir von Frauen und FLINTA*-Personen kriegen, die reinkommen und sagen: „Ich kann jede Frage stellen, ohne dass es jetzt blöd ist.“ Wir versuchen uns Zeit zu nehmen, zum Beispiel auch Fragen zur Sitzposition am Fahrrad zu beantworten. Und wir wollen damit Fahrradfahren und auch das Wissen über Fahrräder zugänglicher machen. Das ist der Anspruch, den wir haben.

Richtet ihr euch nur an Frauen und FLINTA*-Personen als Kund:innen?

Nein, es sind alle Menschen herzlich willkommen, egal, was für ein Gender.

Ich habe in einer Radwerkstatt einmal erlebt, dass ein Kunde, ein Cis-Mann2, sich mit dem Mechaniker quasi gebattlet hatte, wer mehr weiß. Und jetzt frage ich mich, ob ihr auch mit cis-männlichen Kunden konfrontiert seid, die euch die Fahrradwelt erklären wollen?

Ja, das ist ziemlich nervig, weil wir uns offensichtlich mit Fahrrädern auskennen, wenn wir eine Fahrradwerkstatt haben. Und dann versucht er uns noch zu erklären, dass etwas so nicht funktioniert und dass er das so und so machen will. Wenn ich ihm sage, dass es aber so nicht funktionieren wird, lässt er sich davon einfach nicht überzeugen. Also wenn jemand mein Wissen bzw. meine Meinung nicht hören will, lasse ich mich nicht mehr darauf ein, weil das braucht nur Energie. Und meine Energie stecke ich lieber in andere Dinge und weniger in solche Battles. Tatsächlich habe ich das bisher auch nur von Cis-Männern erlebt. Noch ist keine FLINTA*-Person reingekommen, die diesen Battle gesucht hat.

Mischa, Ana und Jovina

Mischa, Ana und Jovina betreiben gemeinsam die Fahrradwerkstatt Velo Peaches (© Bianca Kämpf)

Wenn ich dich vorhin richtig verstanden habe, ist es euch auch wichtig, dass bei Velo Peaches nur FLINTA*-Personen arbeiten. Wie äußert sich das? Was macht ihr anders als andere Radwerkstätten? 

Ich glaube, wir machen sehr vieles anders. Wir haben einen anderen Umgang miteinander, in erster Linie eine andere Kommunikation. Zum Beispiel habe ich heute einen Fehler gemacht. Ich hatte vergessen, eine wichtige Information zu notieren, die Ana, die an dem Fahrrad gearbeitet hat, zwei Stunden Arbeitszeit gekostet hat. Da war sie verständlicherweise genervt davon. Also haben wir uns die Zeit genommen, einen Kaffee getrunken und ich habe mich entschuldigt. Und die ehrliche Entschuldigung annehmen können und sich fünf Minuten Zeit für dieses Gespräch nehmen, ist wichtig, statt alles runterzuschlucken und genervt zu sein.

Natürlich ist es unser Arbeitsplatz und unsere Lohnarbeit und wir versuchen, unseren Lebensunterhalt damit zu finanzieren. Somit ist auch Geld für uns ein großes Thema, weil wir uns überlegen müssen,wie wir uns auszahlen. Und jetzt können wir uns gerade noch nicht auszahlen und wir hoffen, dass sich das in den nächsten Monaten einspielt, weil wir gerade sehr große Ausgaben haben. Darüber gibt’s natürlich viele Diskussionen, die wir offen auf Augenhöhe miteinander führen. Und diesen Umgang miteinander haben wir, weil wir FLINTA*-Personen sind und weil wir irgendwie „weiblich“ aufgewachsen sind.

Ist euer Selbstverständnis, dass ihr diese Werkstatt als Kollektiv führt? Oder seid ihr drei einzelne Chef:innen? 

Also, wir sind eine kollektivgeführte Fahrradwerkstatt, und wir haben alle drei auch auf Papier die gleichen Rechte. Und natürlich haben wir intern Verantwortungsbereiche, aber wir treffen wichtige Entscheidungen gemeinsam. Die Verantwortungsbereiche betreffen dann zum Beispiel: Wer kümmert sich darum, dass unser Lager immer gut gefüllt ist? Oder wer hat den Überblick über die ganzen Reparaturaufträge? Was ist ganz ganz dringend, was ist ein längeres Projekt?

Woher kennt ihr drei euch?

Vom Bike Polo spielen.

Was ist Bike Polo?

Im Prinzip spielen drei gegen drei auf einem Hockeyfeld, also auf 40 mal 20 Metern. Und man versucht den Ball in das gegnerische Tor zu spielen. Am Fahrrad mit einem Polo-Schläger. Die Schläger wurden früher noch selber aus Skistöcken und Plastikrohren gemacht. Mittlerweile gibt’s schon andere Polospieler:innen auf der Welt, die das Equipment dafür produzieren.

Es ist eine sehr kleine Sportart, ich glaube, in Wien sind es 20 oder 30 Menschen, die Bike Polo spielen, wobei das eine sehr große Bike-Polo-Community für eine Stadt ist. Und dann gibt es andere Städte, wo zwei oder fünf Personen spielen. Wenn Turniere stattfinden, sieht man Leute aus ganz Europa oder teilweise aus der ganzen Welt. Das größte Turnier findet in Berlin statt, das Berlin:mixed. Dort spielen drei Tage lang vierzig Teams rund 300 Spiele am Tempelhofer Feld mit selbst aufgebauten Courts. Der ganze Sport ist selbst organisiert. Es gibt zum Beispiel keine offiziellen Schiedsrichter:innen, es gibt natürlich bei jedem Spiel ein Ref und Co-Refs, aber es wechselt immer ab. Und meistens ist es so, dass das gewinnende Team das nächste Spiel reft. Es ist eine sehr kleine Community, aber mit sehr viel Liebe sind da alle dabei.

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„Ich mag, wenn die Leute Freude am reparierten Fahrrad haben“

Der Beruf der Fahrradmechaniker:in ist ja sehr männlich dominiert. Kannst du ein bisschen von deiner bisherigen beruflichen Laufbahn erzählen. Wie bist du überhaupt zu diesem Beruf gekommen?

Angefangen hat’s damit, dass mein Fahrrad kaputt war. Ich kann mich auch gar nicht mehr genau erinnern, was kaputt war, es hat aber nicht mehr so funktioniert, wie es sollte. Und dann bin ich in die Bikekitchen gegangen. Das ist eine offene Fahrradwerkstatt im 15. Bezirk, da kann man hinkommen, das eigene Fahrrad gemeinsam mit einer Person, die sich auskennt, reparieren, oder auch ganz alleine reparieren, wenn man sich auskennt. Also es ist eine DIY- und do-it-together-Werkstatt. Dort habe ich angefangen, nach und nach mein ganze Fahrrad zu servicieren und dabei dazugelernt, wie ich Bremsbelege wechsle, wie ich die Bremsen einstelle, wie ich die Schaltung einstelle. Später dann bin ich auch selber ins Kollektiv eingestiegen, und bin da noch immer, auch sehr gerne. Natürlich ist es ein Unterschied eine Selbsthilfewerkstatt im Vergleich zu einer „normalen“ Werkstatt zu haben. Dort basiert alles auf freier Spendenbasis, hier natürlich nicht.

So bin ich zum Fahrrad reparieren gekommen. Danach habe ich in einer Fahrradwerkstatt zu arbeiten begonnen und hab dort auch noch Sachen dazugelernt. Ich glaube, man lernt nie aus. Ich lerne auch hier immer wieder Sachen dazu, oder es müssen Probleme gelöst werden, die ich noch nie hatte. Aber wir helfen uns da gegenseitig, das geht sich gut aus, weil wir in unterschiedlichen Fahrradwerkstätten gearbeitet und daher auch so ein bisschen unterschiedlichen Background haben. Bis jetzt hat zusammen immer alles funktioniert. Was viele vielleicht glauben, ist, dass fehlende Muskelkraft ein Problem sei, das kann man auch gut durch einen längeren Hebel ersetzen. Da hat man dann genug Kraft. Das war noch nie das Problem, das wir zu schwach waren für irgendwas.

Was magst du an deinem Beruf? Und was magst du weniger?

Gern löse ich verzwickte Probleme, also die, wo man zuerst glaubt, dass sich da nicht so schnell eine Lösung findet. Ich mag es aber auch, einfache Lösungen zu finden. Und wenn voll die Kraxen reinkommt und das Rad nachher wieder geschmeidig funktioniert, dann ist das sehr schön. Und ich mag, wenn die Leute Freude am reparierten Fahrrad haben und sagen: „Boah, es rollt so gut. Es fährt sich so leicht. Und davor war’s so zach.“ Das ist ein sehr schönes Gefühl, wenn Leute hier zufrieden rausgehen.

Und was ich weniger gern mag, sind Probleme, die sich dann ziehen. Auch dass Teile derzeit sehr schlecht verfügbar sind, ist nervig, aber das ist allgemein in der Fahrradbranche schwierig. Aber ich hoffe, dass das nächstes Jahr wieder besser ist und wieder mehr verfügbar ist. Oft ist es sehr mühsam und zeitaufwändig, Alternativen zu finden. Das ist eher der mühsame Part. Denn wir arbeiten alle sehr viel und sehr fleißig, da hat so etwas kaum Platz. Wir sind halt auch 10 bis 14 Stunden am Tag hier in der Fahrradwerkstatt. Aber es ist am Anfang gerade sehr viel und es wird auch ein bisschen mehr Routine reinkommen. Wir haben ja echt gerade erst aufgesperrt. Und man muss sich auch Zeit geben für den Prozess.

Mischa steht in der Fahrradwerkstatt, im Vordergrund ein rotes Fahrrad

Mischa in der Fahrradwerkstatt Velo Peaches (© billobikes)

 

1 Die Abkürzung FLINTA* steht für Frauen, Lesben, inter, nicht-binäre, trans und agender Personen. Sie umfasst damit all jene, die aufgrund ihrer geschlechtlichen Identität patriarchal diskriminiert werden. Der Stern erweitert die Gruppe um jene, die sich in keinem der Buchstaben wiederfinden, aber ebenso in der patriarchalen Mehrheitsgesellschaft marginalisiert werden. 

2 Mit dem Vorsilbe Cis wird deutlich gemacht, dass eine Personen mit dem Geschlecht lebt, das bei ihrer Geburt in der Geburtsurkunde eingetragen wurde. 

1 Kommentar

Christine Nouikat sagte am 08.03.2022, 12:48:
Bravo!! I know what you mean : ) Hab mich vor 11 Jahren ins Fahrradbusiness gewagt und Kinderkutsche.at gegründet, leider ohne Mechanikerskills. Es gab immer Hierarchieprobleme mit meinen Mechanikern ... hab mir oft Mechanikerinnen gewünscht, aber woher nehmen? Nun, die Zeit ändert doch vieles zum Besseren! Viel Erfolg!!
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